Bei
meiner Beleuchtung des Themas werde ich mich auf Textilien beschränken. Dafür
schlage ich im Standardwerk für „Die Thüringer Trachten“ von Luise Gerbing
nach, welches 1925 erschienen ist.
Nach mehr als 30 Jahre Recherche
schreibt sie, dass Trachten in Thüringen noch bis in die
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die übliche Kleidung waren. Die Tracht ließ
erkennen, wo jemand zuhause war und zu
welchem Anlass er unterwegs war. Das Interesse an der alten Tracht verlor sich
mit der Zeit und besonders in Kriegszeiten.
„… Aus dem Volk selbst müsste der
alte Stolz auf die sinngemäße Bauernkleidung hervor wachsen, soll eine echte
neue Volkstracht sich entwickeln. Die Versuche, die vergangene Volkskleidung
künstlich neu zu erwecken (besonders durch Trachtenfeste) sind misslungen, so
gut sie auch gemeint waren. Denn künstliches Neuentfachen abgestorbener Volksgebräuche
ist ein vergebenes und auch unwürdiges Bemühen. Nur zu oft werden die einst
heiligen und ehrwürdigen Überreste der alten Tracht zur abstoßenden Maskerade
herabgezerrt.
Viel könnten wir „Gebildeten“ dazu
beitragen, dass eine deutsche Tracht allmählich entsteht, wenn wir die
Einfachheit, Geschmack, Anmut und Würde in unserer eigenen Kleidung zur Schau
tragen. … „
Luise
Gerbing, Vorwort zu „Die Thüringer Trachten“
Erfurt 1925
Im ersten Kapitel des Buches über Trachten geht es um die Abgrenzung des Thüringer
Trachtengebietes. Allgemein gültig ist sicher, dass politische Grenzverschiebungen
im Laufe der Zeit einen Wandel von Sitte, Tracht und Sprache bewirkten.
Quelle der meisten Stücke der dem Landleben angepassten Thüringer
Volkstracht ist
unverkennbar die höfische und Stadttracht:
- Die Suhler Kirchenhaube, ein hohes steifes Gebilde wie aus der Zeit Friedrich Wilhelms des I., noch 1912 in schwarz von den Küsterdienst verrichteten Totenfrauen getragen war während der Biedermeierzeit im Besitz jeder Bürgersfrau.
- Im Werratal gab es einmalig für Thüringen einen Hut als Bestandteil der Tracht. Eine praktische, schattenspendende aus Stroh geflochtene Schute gehörte in den 30er Jahren zur Mode in Bürgerkreisen.
Kleiderordnungen geben Auskunft für Zeiten ohne Bildmaterial.
Verarbeitet
wurden selbst erzeugte Wolle und Flachs, gefärbt mit selbst angebautem Waid.
Merkmal der Tracht in den Thüringer Walddörfern ist der Kopf-
oder Haidlappen, der in jedem Dorf anders geschlungen und geknotet wurde,
sozusagen ein regionales Erkennungszeichen auf dem Kopf. Meine Oma und meine
Mutter trugen zur Feldarbeit auch ein Kopftuch, allerdings ganz schlicht praktisch
geknotet.
mein Bruder, eine Tante, ich, meine Oma und meine Mutter ca. 1968 |
Erinnern kann ich mich an ein Kleidungsstück, welches bei meiner
Oma im Schlafzimmer hing. Neulich traf ich ein ähnliches in einem regionalen
Museum wieder: Der Hockmantel
(und
hier) gehörte zur Alltagskleidung. Er bestand aus mehreren Schichten bedruckter Baumwolle
und wurden geschickt um die Arme gewunden um kleine Kinder darin zu tragen.
In den einzelnen Gemeinden gab es die „Nähtersche“, eine Frau
die mit dem Stickrahmen farbige kunstfertige Stickereien von stilisierter
Vornehmheit auf Mützen und Hauben
stickte. Leinwand wurde doppelt gelegt und zusätzlich mit dünnem Futterstoff
hinterlegt durchsteppt. Als Vorlage diente das vererbte Modeltuch. Beliebt war
Kreuzstich in Kombination mit anderen Zierstichen wie Knötchen-, Fischgräten-,
Ketten-, Hochstickerei, Durchbrucharbeit, Filet-Gipüre, Perlenstickerei, Chenille-Stickerei
für Brauthauben, Stickerei mit Metallfäden in Kombination mit Glas- und
Metallplättchen. Die kirchlichen und weltlichen Motive wandelten sich im Laufe
der Zeit, so verdrängte beispielsweise im Mittelalter die Nelke den
religiös-symbolischen Granatapfel.
Ein Blick in die gesammelten Thüringer Stickmuster zeigt
unverkennbar multikulturelle Einflüsse, ein Mäandermuster ist auch dabei. Ein
Zählmuster mit Nelke habe ich ausgewählt, um es als Kreuzstich-Maschinenstickerei zu erstellen. Leider
ist mein Programm PE-Design, Version 8 dafür nicht geeignet. Es ist nicht
möglich, einzelne Kreuze zu setzen. Beim Füllen einer gescannten Kontur komme
ich nicht auf passende Kreuzstichgrößen.
Überlegungen zum Erzeugen eines Rasters auf Leinenstoff bringen
mich auf die Idee von parallelen Nähten auf Leinen mit Klebevliesverstärkung.
Praktisch gelingt es nicht gut, weil sich der Stoff zusammen zieht und ich
schwarz auf schwarz schlecht erkenne. vielleicht gibt es etwas aufbügelbares Auswaschbares
auf das man Linien zeichnen kann?
Für einen weiteren Versuch zur Markierung des Kreuzstichrasters verwende
ich Frixion-Stifte. Mit 5 mm Abstand wird die Stickerei recht grob. Ich möchte
gerne sehen, wie das Motiv ohne das traditionelle grün nur mit schwarz, rot und
weiß wirkt (Habe auch überlegt, wie es als Webband
aussehen würde). Solches Sticken empfand ich als langwierige Geduldsprobe für
so ein kleines Motiv (hätte den Stickfaden kürzer machen sollen ;-)) Umso mehr
weiß ich nun die filigranen Kreuzstiche zu schätzen, wie man sie beispielsweise
im Volkskundemuseum Erfurt bewundern kann.
Nachtrag: Die Stickerei ist Bestandteil einer kleine Handarbeitstasche für unterwegs
Nachtrag: Die Stickerei ist Bestandteil einer kleine Handarbeitstasche für unterwegs
Folklore erlebte
in den 70er Jahren, der Zeit des Flower-Power, ein Revival als es in war, die Kleidung
individuell im Mix mit Second Hand zusammen zu stellen. Auch ich hatte in den
80ern eine industriell bestickte Bluse mit weit auslaufenden Ärmeln aus feinem Naturfaser-Webstoff (Foto links). Für eine Hochzeit hatte ich mir mit breitem bunten Webband aus der Tschechoslowakei eine Bluse genäht. In der DDR hatte sich das Folklorerevival mangels Angebot länger gehalten.
Bekanntestes
„Überbleibsel“ einer Tracht ist das bayerische Dirndl, welches zeitgemäß
verfremdet (Ver-)Kleidung für Bierzeltbesuche geworden ist. Was wohl Luise Gerbing dazu meinen würde (Zitat oben)?
Gibt es für unsere Zeit eine Volkskleidung mit Zuordnungskennzeichen oder gibt es viele davon? Muss ja auch nicht sein, gut dass es keine strenge Kleiderordnung gibt und praktisch jeder selbst entscheidet, was er wann anzieht.
Nun schaue ich, was die anderen Stoffspielerinnen zum Thema Folklore genadelt haben und bin schon ganz gespannt. Die monatliche Stoffspielerei ist eine Aktion für textile Experimente. Sie ist offen für alle, die mit Stoff und Fäden etwas Neues probieren möchten. Der Termin soll Ansporn sein, das monatlich vorgegebene Thema soll inspirieren. Jeden letzten Sonntag im Monat werden die Links mit den neuen Werken zwecks Erfahrungsaustausch gesammelt.