Sonntag, 24. Juni 2018

Rokoko … Spurensuche in Thüringen

Constanze hat als Thema der Stoffspielerei „Rokoko“ gewählt. Pläne, etwas zu diesem Thema als Handarbeit zu gestalten habe ich verworfen. Stattdessen kam mir der Gedanke, in meiner Bibliothek und in Thüringen nach Spuren von Rokoko zu suchen. Mit Texten, Bildern und PKW war ich auf Zeitreise in eine Welt ohne elektronische Medien.
Was kann man nach 230 Jahren noch finden?
Gibt es spannende Geschichten mit Textilien und Mode als Thema?
Nach ausgewählten zeitlichen Eckdaten nähern wir uns dem Thema und gehen auf die Suche.

Was, wann, wer und wo …

1618 – 1648 Dreißigjähriger Krieg
1575 - 1770 Barock
    Frühbarock bis ca. 1650,    
    Hochbarock bis ca. 1650–1720
    Spätbarock oder Rokoko bis ca. 1720–1770
1638 – 1715 Ludwig XIV, der Sonnenkönig in Frankreich
1666 – 1751 Fürstin Augusta Dorothea von Schwarzburg-Arnstadt (Mon plaisir)
1710 – 1774 Ludwig der XV. in Frankreich
1732 – 1772 Friedrich III. von Sachsen-Gotha-Altenburg verheiratet mit
1710 – 1767 Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg in Gotha
1737 – 1758 Ernst August II.Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, verheiratet mit
1739 – 1807 Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel, (Nichte von Friedrich II.) in Weimar
1759 – 1775 Regierungszeit von Anna Amalia als Vormundschafts-Regentin für Erzherzog Carl-August
1756 – 1763 Siebenjähriger Krieg 
1763 – 1766 Weimar: Umbau Grünes Schloss zur Bibliothek
1767 erste Kleiderordnung unter Herzog Ernst I. von Sachsen Gotha
1775 Goethe kommt nach Weimar
1852 Standesunterschiede im Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg werden aufgehoben, die Kleiderordnung wird außer Kraft gesetzt

Rokoko … wie war das so?

Aus der Epoche des späten Barock entwickelte sich etwa ab etwa 1720 Rokoko. Beide Epochen sind Stilrichtungen der europäischen Kunst. Namensgeber für Rokoko ist das französische Wort Rocaille (Muschel). Es bezeichnet ein immer wieder auftretendes asymmetrisches Ornament-Motiv.
Es war ein Zeitalter, in dem Frauen und Liebe die Politik beeinflussten. Die Mode kombinierte die strengen Formen höfischer Etikette mit dem Reiz weib­licher Schönheit.
Die Paläste des Adels wurden zu Treffpunkten der Gesellschaft. Schönheit und Eleganz bestimmte Sitten und Umfeld des Adels. Vorbild war der französische Hof mit Ludwig XIV. Französische Etikette, französische Sitten und Moden hielten in Europa Einzug.
Porträts aus dieser Zeit sind unsere Informationsquellen für die Mode dieser Zeit.

Die Tänzerin Barberina, Druck in einer Ferienwohnung Suhl
Nach dem Tode Ludwig XIV. wurde der politische Verfall Frankreichs sichtbar. Moral und Sitten der Gesellschaft ließen zu wünschen übrig. In Kunst und Mode bewirkte diese Umwandlung zum Verspielten die Wandlung in die Stilepoche des Rokoko. Alles Strenge verschwand aus dem modischen Bereich. Selbst die leuchtenden Farben am Hofe Ludwig XIV. wurden gegen zarte Pastelltöne eingetauscht. Die weibliche Bekleidung bestand aus einem viereckig ausgeschnittenen, eng taillierten Oberteil, das in einer tief heruntergezogenen Spitze seinen Abschluss fand. Ein Reifrock betonte die schmale Taille. Das geteilte Rock-Vorderteil ließ ein mit Rüschen, Falbeln oder Schleifen verziertes Unterkleid durchblicken. Das Haar wurde weiß gepudert und in kleine Löckchen geordnet. In der zweiten Hälfte des 18, Jahrhunderts wuchs diese relativ einfache Frisur absurd in die Höhe. Eine tägliche Pflege war unmöglich, gerne nistete sich Ungeziefer ein.

Detaillierte Einblicke und Bildergalerien fand ich auf der Seite costumeantique. Ein Besuch lohnt sich, sogar ein 2. Rokoko (1850 – 1870) fand ich dort. Wer mal im Journal des Luxus und der Moden lesen möchte wird dort ebenfalls fündig. Diese älteste deutsche Modezeitschrift wurde von 1787 bis 1812 in Weimar verlegt.

Deutschland im 18. Jahrhundert

Die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges wirkten nach. Finanzielle Mittel waren knapp, auch an deutschen Adelshäusern. Erbteilungen wegen fehlenden Erbschaftsregelungen zersplitterten die Besitztümer der Herrschaften. Die kleinen Höfe bemühten sich, dem französischen Vorbild am Hof des Sonnenkönigs nachzueifern. Viele kleine Zentren mit verschiedenen Schwerpunkten der Rokoko-Kunst entstanden.
Naturwissenschaften und technische Erfindungen (z.B. die Dampfmaschine) prägten das 18. Jahrhundert. Im ausgehenden 18. Jahrhundert sehnen sich auch die Herrschaften wieder nach der Natur. Bildungsreisen waren in Mode.
Kleiderordnungen bestimmten die Verwendung von Materialien und Farben für die Stände. Klassenunterschiede waren offen erkennbar durch verschiedenfarbige Kleidung.

Barock und Rokoko in Thüringen

Bibliotheken, Sammlungen, Ausstellungen und Feste

1640/41 wurde mit der Entstehung des neuen Herzogtums Sachsen Gotha im Schloss Friedenstein ein geheimes Archiv für Urkunden, Amtsbücher und Akten gegründet. 1840 wurde das Archiv in „Herzoglich sächsisches Haus- und Staatsarchiv“ umbenannt. Das Hauptarchiv war in Weimar.

Sucht man online nach Rokoko in Thüringen listet die Suchmaschine Texte und Bilder der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar auf. 

Vielen ist der Brand in dieser Bibliothek im Jahr am 2. September 2004 im Gedächtnis.

Von Herzogin Anna Amalia, auch genannt die Gründerin Weimars und die Beschützerin der Künste und Wissenschaften erhielt die Bibliothek im Jahr 1991 den Namen. Gegründet wurde die Bibliothek 1691 als  „Herzogliche Bibliothek“ von Herzog Wilhelm Ernst in Weimar. Über die Jahre wurde der Bestand systematisch aufgestockt mit handgeschriebenen und gedruckten Büchern aus allen Gebieten des menschlichen Wissens. Die Sammlungen der Gothaer Kunstkammer sind umfangreich. Speziell im Bereich Naturwissenschaften hat die Sammlung seit langer Zeit einen herausragenden Ruf.


Mitte des 18. Jahrhunderts standen in Gotha Kunst, Kultur, Wissenschaft und Bildung hoch im Kurs. Gelehrte und Künstler verkehrten mit der Hofgesellschaft. Die Herzogin Luise Dorothea war Mittelpunkt der Hofkultur. Voltaire nannte sie die „beste Fürstin der Erde“ und eine „deutsche Minerva“.

Ende des 18. Jahrhunderts führten soziale und gesellschaftliche Veränderungen auch in Gotha zur Angleichung bürgerlicher und höfischer Mode. Kleiderordnungen wurden abgeschafft.

Im Frühjahr 2018 gab es im Schloss Friedenstein in Gotha eine Sonderausstellung mit dem Titel „À LA MODE – SPITZEN VON RENAISSANCE BIS ROKOKO“. Auch exquisite Auswahl von Spitzenfächern war zu sehen. Am 13. Mai 2018 fand im Herzoglichen Museum der Aktionstag „Gotha ist Spitze“ statt. . Präsentationen zeigten, wie Spitze hergestellt wird.
Seit 2001 veranstaltet Gotha am letzten Augustwochenende auf des Schlosses Friedenstein alljährlich ein Barockfest. Besucher können in glanzvolle Epoche des Spätbarocks eintauchen, Laiendarsteller in Kostümen bewundern und zusehen, wie Herzog Friedrichs III. vonSachsen-Gotha-Altenburg  mit seinem Hofstaat Wachparaden abnimmt, Audienzen hält und durch den Orangeriegarten  lustwandelt. Eines meiner Fotos von 2010 zeigt eine Darstellerin im typischen Rokoko-Kleid.


Übrigens kann man bei marquise.de Basiswissen zum Rokoko nachlesen. Besonders interessant fand ich die Texte über häufige Missverständnisse und Klischees.

Die Puppenstadt in Arnstadt

Ein besonders anschauliches Erbe der Barock- und Rokoko Zeit hat uns Fürstin AugustaDorothea von Schwarzburg-Arnstadt hinterlassen. Alles verfügbare Vermögen und mehr investierte sie in eine Puppensammlung, Miniatur-Szenen als Abbild des höfischen und bürgerlichen Lebens sind dargestellt.
Die Sammlung ist
Besuchermagnet im Schlossmuseum Arnstadt.


Zeitzeugen aus Porzellan

Vorlieben, Mode und Geschmack von Barock und Rokoko sind langlebig konserviert in Porzellan-Erzeugnissen. In Thüringen gab es mehrere Porzellanmanufakturen, die die Sammelleidenschaft der Regenten und auch des einfachen Volkes bedienten:

Thüringer Porzellanmanufakturen (18. Jh.)

Eine technologische Besonderheit ist die Verwendung von Plauener Spitze zur Ausformung der voluminösen Röcke und Details. Beim Brennen verdampft die Textilfaser, übrig bleibt das modellierte Porzellan. Als einer der ersten Manufakturen der Welt gelang es der Sitzendorfer Porzellanmanufaktur 1884, Spitzenfiguren herzustellen. Nur wenige Spezialisten beherrsch(t)en diese komplizierte Handarbeit.


Handarbeiten in Rokoko-Zeiten

Das Buch „KREUZSTICHMUSTER AUS DEM BAROCK UND ROKOKO“, herausgegeben von Helga Wagner mit einem Geleitwort von Irmgard Gierl, ISBN 3-7991-6264-X enthält 130 Schwarz-weiß-Tafeln nach Vorlagen aus Staatlichen Museen. Es handelt sich um Stickvorlagen aus drei Büchern des 17. und 18. Jahrhunderts:
   Muster aus dem „Neuen Modelbuch" von Paul und Rosina Fürst  
   Muster aus den „Nadel-Ergötzungen" von Margaretha Helm   
   Muster aus dem Büchlein von Christoph Weigel jun. 

Vorlagen-Sammlungen erfreuten sich großer Beliebtheit. Die Motiven hatten bestimmte Bedeutungen. Beispielsweise versinnbildlichte die Nelke die reine Gattenliebe.
Die Muster waren keine Erfindungen der jeweiligen Autoren sondern überwiegend uraltes Traditionsgut, übernommen von Seidenstoffen und Teppichen aus dem Orient, aus China und Arabien.

Occhi (italienisch ‚Augen‘), auch Schiffchenarbeit oder Frivolité  mit einem Schiffchen wie wir es kennen scheint sich erst im Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelt zu haben. Abbildungen des 18. Jahrhunderts zeigen Damen, die Occhi-Schiffchen in der Hand halten, allerdings sind diese größer und an den Enden gerundet.
Unter meinen Spitzendeckchen befindet sich eines aus Occhi-Knoten. Ich habe es auf einem Flohmarkt gefunden. Deshalb kann die Herstellung zeitlich nicht einordnen. 


Fazit

Die Beschäftigung mit diesem Thema macht mich neugierig, mehr zu erfahren.
Arnstadt, Gotha und Weimar sind nicht weit. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich die geschichtsträchtigen Plätze mal wieder aufsuchen. 
Weimar, Schloss Belvedere
In den Parks kann man bei geschlossenen Augen mit Wind um die Nase und Vogelzwitschern im Ohr auf Zeitreise gehen und sich vorstellen, wie es damals wohl war …
Eine meiner schönsten Erinnerungen zu einem Ausflug in Thüringen gehört nach Tiefurt, aber das ist schon eine andere Epoche, die vielleicht nach einer Fortsetzung verlangt ….
Tiefurt bei Weimar, Schlosspark
Verwendete Informations-Quellen:
Jahreszahlen aus Wikipedia
Rokoko: 48 Tafeln, Sibylle Harksen, Verlag: Prisma, ASIN: B00246783A
Das Barocke Universum Gotha: Schätze von Schloss Friedenstein, ISBN 3940998109
Die Höfe zu Thüringen, Carl E. Vehse, ISBN: 3378005610

Mode im Wandel, ISBN 3-37607-1273-8 
Zeitschrift Sibylle 1961-01

KREUZSTICHMUSTER AUS DEM BAROCK UND ROKOKO, ISBN 3-7991-6264-X 


Ich danke Constanze für das freizeitlich inspirierende Thema und bin gespannt, welche Rokoko-Stoffspielereien bei den anderen Stoffspielerinnen entstanden sind.

Die monatliche Stoffspielerei ist eine Aktion für textile Experimente. Sie ist offen für alle, die mit Stoff und Fäden etwas Neues probieren möchten. Der Termin soll Ansporn sein, das monatlich vorgegebene Thema soll inspirieren. Jeden letzten Sonntag im Monat werden die Links mit den neuen Werken zwecks Erfahrungsaustausch gesammelt.

Die weiteren Termine der Stoffspielerei:
Juli +  August 2018: Sommerpause
30.09.2018: „Streifen“ bei 123-Nadelei
28.10.2018: „Seide“ bei Siebensachen
25.11.2018: (Thema noch nicht fix) bei Nähzimmerplaudereien
Dezember: Weihnachtspause
27.01.2019: (Thema noch nicht fix) bei Textile Werke
24.02.2019: „Farbverläufe“ bei Schnitt für Schnitt
31.03.2019: „Geometrie“ bei Feuerwerk by Kaze
weitere Themen: Tierwelt, textile Miniaturen, ... 

6 Kommentare:

  1. Wow, da hast du ja mit viel Aufwand sehr interessante Details erarbeitet. Den umfangreichen Text werde ich bestimmt noch mal ganz langsam lesen. Zur Stoffspielerei fiel mir spontan "Rüschen" ein - da bin ich mal gespannt womit du uns überraschst.
    LG eSTe

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  2. Danke! So tief bin ich bei meinem Recherchen nicht eingestiegen (da sich abzeichnete, dass ich es nicht schaffe, etwas vorzubereiten). Sehr gefällt mir auch Dein regionaler Bezug, da gibt Thüringen ja viele her! Ich habe noch aus einem Buch in Erinnerung, wie die Kleidung zur Zeit Napoleons so gar nicht in das bisherige Modebild (Rokoko - eben bis zur frz. Revolution) passte: zu schmal, zu durchsichtig.
    Liebe Grüße
    Ines

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  3. Also das ist ja mal eine coole Hinführung und Erläuterung und vor allem tolle Spurensuche! Danke für so viel Wissenswertes und Interessantes zum Thema, und deinen regionalen Bezug finde ich auch super. Da wirst du künftig mit ganz anderen Augen durch die Städte marschieren!
    LG. Susanne (die große Lust auf eine riesige Perücke und Puder hätte... lach.)

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  4. Wow, da hast du dich ja voll ins Thema gewühlt. Sehr interessant und spannend zu lesen. Vielen Dank!!!!
    LG Ute

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  5. Toll! Vielen Dank dafür -und ich schließe mich deinem Fazit an:
    Ich bin auch neugierig geworden, leider wohne ich nicht um die Ecke;)
    LG Friedalene

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  6. Liebe Ute, du hast so viel Interessantes zu dieser Epoche zusammengetragen, herzlichen Dank. Weimar war damals Weltstadt, z.b. erschien ab 1787 das Journal des Luxus und der Moden in Weimar aber da war die Epoche ja schon fast vorbei. Liebe Grüße Tyche

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