Samstag, 13. Juni 2020

Freia, eine Nähmaschine aus Suhl

Heute am Tag der Nähmaschine stelle ich eine meiner Nähmaschinen vor und erzähle etwas historisches.



Es ist eine genial kompakte elektrische Freiarm-Koffernähmaschine. Sie heißt Freia, ausgetüftelt von Ernst Fischer
Im Herbst 1946 wurden im Ernst Thälmann-Werk Suhl erste Funktionsmuster hergestellt. Der Erfinder hoffte in Suhl eine eigenständige Nähmaschinenfertigung zu etablieren. Nach dem Krieg durften keine Jagd- und Sportwaffen gefertigt werden. Eine Nähmaschinenproduktion bot eine Alternative. Zunächst fehlte es an Produktionskapazitäten, Arbeitskräften und Materialien. Die Fertigung lief 1947 an: Am 06. März 1948 verließ die erste Nähmaschine das Werk.Der Preis betrug zunächst 298 Ostmark, später 375 und 440 Ostmark. Die Freia ist einer ELNA (Grashopper) nachempfunden. Das Prinzip der Freia war neuartig und wurde patentiert. Ab 1954 stagnierten die Verkaufszahlen. Eine Zick-Zack-Funktion wurde geplant aber nicht gebaut. Strukturelle Veränderungen im Suhler Werk führten zum Ende der Nähmaschinenproduktion in Suhl.

Kompakt in einem Koffer von 30 x 8 x 40 cm mit einem Gewicht von 9,5 kg wurden Koffernähmaschinen in weinrot, grün und schwarz gefertigt.



Die Gehäuse sind nummeriert. Meine mit S 32/1108/1007. Schätzungsweise wurden 110.000 Koffernähmaschinen in Suhl gebaut. Die ersten Maschinen erhielten den Aufdruck Freia, später wurde der Namenszug weg gelassen. Koffer, Frontplatte, Deckplatte, Abschlußplatte, Armdeckel, Freiarmklappe und Handrad sind aus Bakelit.

Der Koffer kann als Anschiebetisch 30 x 80 cm verwendet werden. Ohne ist es eine Freiarmnähmaschine. Mit wenigen Handgriffen ist die Maschine einsatzbereit.




Das Einlegen der Spule ist anders als gewohnt. Mein Mann konnte mir helfen. Seine Oma nutzte auch eine Freia. Ich habe gelesen, dass sowohl Brillengreifer als auch Umlaufgreifer integriert wurden. Meine Anleitung ist für Umlaufgreifer, die Maschine allerdings den seltenen Brillengreifer. Hier wird der Unterfaden in eine Rille der Klappe eingelegt und mit dosiertem Schwung geschlossen.


Die Stichauswahl beschränkt sich auf Geradstich im Vorwärts- und Rückwärtsgang. Stopfen und Nadelmalen ist möglich. Ein Kniehebel ersetzt ein Fußpedal.

Ich bedaure, dass die Entwicklung und Fertigung von Nähmaschinen in Suhl endete. Es ist ein trauriges Beispiel der Produktionsbedingungen und -gepflogenheiten in der DDR. 
Inzwischen stehen einige Suhler Nähmaschinen in internationalen Designmuseen ...
... und meine bei schönem Wetter auf der Terasse 




weitere Fotos auf Instagram.
Im www habe ich ein Video zu diesen Maschinen gefunden: Freiarm-Nähmaschine - Kleines Konstruktionswunder

Infos auch hier: 
Glanzlichter des DDR-Designs: Die FREIA
Koffernähmaschine „Freia“
FREIA von Ernst Fischer aus Suhl
Tragbare elektrische Nähmaschine "Freia"

Tiefere Einblicke in das DDR-Alltagsdesign zeigt der Film Schwalbe und Plasteschüssel – Alltagsdesign in der DDR. Eine Freia hat ihren Auftritt bei ca. 5:00 min. Es wird deutlich welchen Balanceakt Entwickler und Gestalter zwischen Mangelwirtschaft und staatlicher Doktrin gingen. Die Gestaltung modern aber nicht modisch, auch puristisch wie bei Bauhaus war trotz Rohstoffmangel nicht gewünscht. All die Zusammenhänge zeigen, weshalb DDR-Produkte keine Sollbruchstellen enthalten und oft nach Jahrzehnten noch funktionieren.

Übrigens hätte ich auch den Vorläufer der Freia mal kaufen können, habe aber nur ein Foto gemacht von einer MeWa:




Die Informationen und Daten fand ich in einer Broschüre der kleinen Suhler Reihe mit dem Titel "Der Nähmaschinenbau in Suhl".


6 Kommentare:

  1. Vielen Dank für die Vorstellung deiner Freia. Solch eine Maschine kannte ich nicht. Aber eine tolle Lösung mit dieser Variante des Anschiebetischs.
    Ich hatte in der DDR immer eine Schranknähmaschine Veritas. Man hatte ja keine große Wahl. Gerne hätte ich eine Koffernähmaschine gehabt. Weil der Die Schrankmaschine immer in einer Ecke stand, wo man schlecht arbeiten konnte.Aber sie hatte auch einen Vorteil, dass man in den Schubfächern alles gleich bei der Hand hatte. Aber egal, ich war stolz auf meine Maschine und habe unendlich viele Stunden mit ihr verbracht. Viele Grüße von Rela

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  2. Hallo Ute, was für eine interessante NähMa mit viel wissenswertem Detail. Die sieht auch sehr gut aus und vor allem ist sie funktionstüchtig. Das Modell hat einen Platz im Designmuseum verdient, vor allem aber auf deiner Terrasse.
    LG eSTe

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  3. Liebe Ute,
    das ist ja eine feine Nähmaschinengeschichte! Diese ganz alten Damen sind schon etwas Besonderes. Und dass sie noch da ist und funktioniert, zeugt auch davon, dass solche Maschinen solide gebaut wurden. Meine Veritas von 1962 näht ganz treu und brav... Danke für die Informationen zu den Nähmaschinen aus Suhl, das wusste ich nicht, dass dort auch welche gebaut wurden.
    LG
    Elke

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  4. Was für ein geniales Konzept, so eine schlanke Nähmaschine, und der Koffer noch als Tisch verwendbar! Über die teils unfaire und unverständliche Einstellung der Produktion langlebiger und DDR-Produkte nach der Wende hat mein Mann vor nicht allzulanger Zeit gelesen und recherchiert, am Beispiel eines Rund-Kühlschranks. Wann wurde denn die Produktion der FREIA eingestellt? Spannender Artikel, spannendes Thema, danke! Liebe Grüße, Gabi

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  5. Ich habe so eine Maschine geerbt, leider fehlt mir die Gebrauchsanleitung. Kann jemand helfen?

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