Dienstag, 8. September 2020

Nähmaschinen aus Wittenberge

Meine erste Nähmaschine war eine Veritas. Sie kostete etwa so viel wie mein erster Netto-Monatsverdienst: ca. 700 Ost-Mark. Mehr als 30 Jahre habe ich vieles mit ihr genäht. 

Mit Öffnung der Grenzen ergaben sich neue Möglichkeiten. Mit den Pfaff-Maschinen konnte ich mich nicht recht anfreunden. Zu sehr hatte ich mich an eine große Arbeitsfläche einer im Schrank eingebauten Flachbett-Nähmaschine gewöhnt. Ein paar Jahre später habe ich dann doch eine moderne elektronische Maschine gekauft. Die nutze ich nur selten und schätze wieder mehr die Robustheit und Zuverlässigkeit historischer Maschinen. Vielleicht ist es Nostalgie oder Gewohnheit ...

Leider gibt es hier in der Region nur noch wenige Nähmaschinen-Mechaniker. Andererseits fanden ein paar Veritas-Olies zu mir und weckten die Erinnerung an meine alte Maschine, eine Veritas 8014-40.


Schritt für Schritt habe ich begonnen, die Maschinen zu reinigen, die Beleuchtungsabdeckung zu entfernen, den Deckel oben abzuschrauben. Mit ein paar Tröpfchen gutem Nähmaschinenöl laufen die Oldies wie geschmiert. Immer mal werde ich einzelne Maschinen näher vorstellen und Einblicke zu Funktion und Besonderheiten geben.

Im Stadtmuseum Wittenberge kann man mehr erfahren über ...

  • SINGER - Nähmaschinen
  • VERITAS - Nähmaschinen
  • Sonstige diverse Nähmaschinen
Sammlungsschwerpunkt ist zum einen die Stadt- und Industriegeschichte von Wittenberge, zum anderen die Geschichte der Nähmaschine und des Nähmaschinenwerkes. Technik und Anwendung alter und neuer Nähmaschinen demonstriert die Werkstatt Nähmaschinen - Schauen und Mitmachen.
Zu DDR-Zeit haben mehr als 3.000 Mitarbeiter mehr als 7 Millionen Maschinen für die ganze Welt produziert. Ich freue mich immer, wenn beispielsweise Nähkursteilnehmer so ein Eisenschweinchen mitbringen und nutzen. Im Schulungsraum für Nähkurse in der VHS Suhl gibt es 2 Veritas, die von Nachbarn gespendet wurden. Bei Kindern sind die alten Maschinen in Nähkursen immer sehr beliebt. 

Habt Ihr auch noch eine Veritas Nähmaschine, vielleicht als Zweit-Maschine für grobe Arbeiten? Oder hattet ihr mal eine? Und wenn ja was für eine?

Bei den Baureihen gibt es eine Systematik:

Flachbettmodelle:

8014/1 -> Geradstichmaschine mit Doppelumlaufgreifer,

8014/2 -> Vollzickackmaschine mit Doppelumlaufgreifer,

8014/3 -> Vollzickackmaschine mit Doppelumlaufgreifer sowie Zierstichautomatik.

8014/4 -> Maschine der Klasse 8014 mit CB Greifer, kann nur Geradstiche


Die Nachfolgemodelle heißen 8014/11, 8014/22, 8014/33.

Es ist die Generation mit Sockelmodell der Klasse 8016.

Es folgen die Modelle 8014/22, 8014/26, 8014/33 und 8014/36 mit gleicher Programmvielfalt

Durch Einbau von Programmwalzen fiel die Stichbreiteneinstellung weg.

Erst die Modelle Rubinas und Famula hatten diese Einstellmöglichkeit wieder.


Die 8014/29 ist Nacholgerin der 8014/25-2 und 8014/28-2 mit neuem Design

Die 8014/39 ist Nacholgerin der 8014/35-2 und 8014/38-2 mit neuem Design

Die 8014/39 wurde aber überarbeitet und verkauft als 8014/40.

Die 8014/43 kann Stretchstiche = Mehrfachstiche 


Freiarmmodelle: 

Generation 8014 mit den Modellen 8014/4401 und 4402 (Funktionen wie 8014/43)

Das Freiarmmodell der 8014/40 hieß 8014/4431. ...


In meinem Umfeld sind mir bisher nur Flachbettmodelle begegnet. Inzwischen schaue ich zuerst auf den Typenaufdruck im Freiraum der Maschinen.


Es gibt verkleidete Veritas Nähmaschinen, die unter anderen Namen verkauft wurden. z. B. eine Victoria-Flachbettmaschine. Immer mal wenn ich Second-Hand-Nähmaschinen sehe mit den bei Veritas typischen Bedienelementen, Belegungen und Fadenführungen frage ich mich, was so eine Maschine für eine Geschichte hat und wo sie zusammen geschraubt wurde.


Spannend ist die Geschichte auf jeden Fall, verfolgt man die Anfänge erfährt man, dass die in Wittenberge vor Gründung der DDR produzierten Nähmaschinen Singer genannt wurden. 1904 wurde das Werk in Wittenberge als Zweigwerk der amerikanischen Singer Company in Betrieb genommen. 

Später im VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge kamen die neu entwickelten Nähmaschinen unter den Namen Veritas und Naumann auf den Markt. In den 1980er-Jahren galt Veritas in Wittenberge als das modernste Nähmaschinenwerk der Welt. Im Jahr 1993 wurde die Produktion in Wittenberge endgültig eingestellt.


Auf der Webseite des Nähmaschinenwerkes Wittenberge und der Webseite des Veritasclubs erfährt man zu Namensgebung und Herkunft folgendes:

Nähmaschinen für den Inlandbedarf der DDR) trugen das Warenzeichen "VERITAS". Für das sozialistische Wirtschaftsgebiet (Sowjetunion, Ungarn, CSSR ... u.a.) hießen sie "Naumann" oder "Veritas". Für das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (BRD, Frankreich,... u.a.) trugen sie die Bezeichnung "Veritas", "Naumann", "Siera", "Victoia", "Lloyds", "Gracia", "Graciella", "Pickling", "Hansa" oder "Riccar". Vertriebsfirmen bzw. Versandhäuser im nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet vergaben eigene Produktnamen wie z. B. Fashion, Lady  für "ihre" Nähmaschinen aus Wittenberge.


Inzwischen gibt es wieder "VERITAS" Nähmaschinen, vertrieben von der schweizerischen Firma "Crown Technics Ltd.", eine Tochter der Bernina Nähmaschinenfabrik. Der Name ist geblieben, aber es sind andere Maschinen ...

5 Kommentare:

  1. Liebe Ute, das ist ja eine spannende Sache und ich bin auch froh, noch eine VERITAS in Reserve zu haben. Es ist eine im Koffer mit dem schönen Namen Programm-Auomatik-Nähmaschine 8014/35. Vielen Dank für Deine Recherche, wenn Du magst, schicke ich Dir noch mehr Infos...
    Liebe Grüße an Dich
    Katrin

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  2. Liebe Ute,
    in meinem Nähzimmer steht - nähbereit - ein 8016/33, Baujahr 1962 (wenn man der Herstellungsnummer des Motors glauben kann). Das ist ein bisschen seltsam, war aber vielleicht mit der "16" einfach die Klassifizierung für Reisenähmaschinen, denn sie hat einen ganz schicken Lederkoffer. Sie ist ein wahres Eisenschwein und näht alles, wo die Janome rumzickt. Sie ist noch deutlich runder und aus mehr Metall als die oben gezeigten.
    Eine aus dem Jahr 1983 steht noch auf dem Boden, da habe ich die Nummer jetzt nicht nachgesehen. Die müsste sicher vor der Nutzung mal zum Mechaniker...
    Eine spannende Recherche!
    LG
    Elke

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  3. Hallo Ute, danke für deinen Bericht. Ja, diese, unsre, DDR- Veritas gingen mit uns durch dick und dünn.Ich bekam eine 1972 zur Hochzeit und sie hat mich bisher begleitet. Wenn auch jetzt nur als Ersatz- Arbeitstier. Beste Grüße von Rela

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  4. Hallo Ute,
    danke für den schönen Bericht. Mir ist eigentlich ja alles neu, aber es klingt sehr interessant. Die alte Singer-Tretmaschine meiner Mutter ist dann sicher auch mal aus dem Werk in Wittenberge.
    Liebe Wochenendgrüße
    Roswitha

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  5. Danke für das Kompliment!
    VERITASKLUB, www.naehmaschinenwerk.de

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